Pure Abzockerei

09.11.2008 - Stefanie Claudia Müller - scm-communication 

Es ist ja o.k., wenn Falschparken und vor allem Zuschnellfahren, also Egoismus im Straßenverkehr, bestraft wird, meinetwegen auch hart. Aber die Stadt Madrid hat irgendwie die Relation bei der Verteilung von Strafzetteln und den dadurch zu erreichenden Lerneffekt verloren. 

Als ich vor acht Jahren hier ankam, wurde bei schwerem Parkvergehen abgeschleppt, man musste mit 100 Euro Strafe rechnen. Radarfallen gab es kaum und so viele Parkuhren wie heute gab es auch nicht. Autofahren war günstig, der Spritpreis war niedrig, viele fuhren mit dem Auto zur Arbeit, auch wenn die Metro um die Ecke war. Staus waren deswegen überall an der Tagesordnung. Die Fahrweise war freizügig, um nicht zu sagen lebensgefährlich. Aber irgendwie hat man sich schnell daran gewöhnt, ich hatte bis dato noch keinen Unfall. 

Zweite Reihe parken war damals völlig normal. Man regte sich auf, wenn man selber zugeparkt wurde, aber mit langem Hupen konnte man eigentlich relativ schnell den Besitzer ausfindig machen und das Problem war gelöst. Selbst habe ich oft von dieser Unsitte Gebrauch gemacht, wenn ich mal schnell etwas abgeben musste irgendwo. Dementsprechend verbeult ist mein Auto heute, denn beim Ein- und Ausparken von den teilweise nur halb Zugeparkten passierte dem ein oder anderen heute wie damals schon mal ein malheur...Was soll`s, man fuhr einfach weiter, ohne dem Geschädigten Bescheid zu geben. Schließlich trug der eigene Wagen ja auch reichlich Kratzer von anderen geflüchteten Tätern. Es war ein Geben und Nehmen...
 
Heute scheint es nur noch ein Nehmen. Denn viel geändert hat sich am Fahr- und Parkverhalten der Spanier in den acht Jahren nicht, die ich hier bin. Nur kassiert jetzt die Stadt Madrid ordentlich mit, sanktioniert, wo sie nur kann, ohne jedoch viel damit zu erreichen in Bezug auf ein verbessertes Fahrverhalten. Es ist ja vernünftig, Autofahren teurer zu machen, auch der Punkte-Führerschein macht Sinn und tatsächlich nutzen ja auch heute mehr Madrilenen die Metro als vor acht Jahren. Aber ist es nicht vernünftiger, den Leuten durch Aufklärungs-Kampagnen klar zu machen, dass es für die Umwelt, Portemonnaie und Gesellschaft besser ist, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen oder durch eine Ökosteuer den Willen der Bevölkerung zu lenken, statt durch völlig absurdes Strafzettel-Verteilen? 

Absurd ist vor allem das Preisgefüge der Madrider "multas". Für Überschreiten der Parkzeit bezahlt man 40 Euro und manchmal sogar 90 Euro. In Deutschland bezahlt man dafür vielleicht 10 Euro. Und wo ist die Relation, wenn ich für eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 20km dagegen “nur” 100 Euro bezahle? Ist Parken etwa gefährlicher als Schnellfahren?  Andauernd fahre ich mit Taxi- und Busfahrern über Rot, welche Folgen hat das denn bitte schön? Die vielen Verkehrspolizisten, die mit ihren gelb-blauen Jacken durch die Stadt schwirren, scheint das zumindest nicht aufzuregen. Dafür aber das Telefonieren im Auto. Das ist ja auch gefährlich, aber auf einen Schlag 300 Euro dafür abzukassieren, scheint eine Dreistheit. Wo bitte schön, ist da ein Lerneffekt, wenn über Rot fahren unter Umständen viel weniger kostet (kommt auf Geschwindigkeit etc. an)? 

In Madrid hat man inzwischen wirklich das Gefühl, dass man gnadelos abgezockt wird, dass es nicht um eine pädagogische Wirkung, sondern um eine Art Zusatzsteuer für die hochverschuldete Stadt geht. Tatsächlich beweist eine Studie des Automobilclubs RACE, dass die Comunidad de Madrid die Stadt mit den meisten Strafzetteln pro 1 000 Einwohner ist, es sind zehn Mal so viele, die hier mit einer "multa" bedacht werden, als zum Beispiel in der autonomen Region Extremadura. 

In diesem Jahr wird in Madrid mit 176 Millionen Euro Strafzettel-Einnahmen gerechnet und im kommenden Jahr schon mit 270 Millionen Euro, vor fünf Jahren betrug das Volumen gerade mal 22 Millionen Euro. Da stimmt doch was nicht.. Es wundert nicht, dass bei so klarer Abzocke, wenig aus den Strafen gelernt wird und weiterhin halsbrecherische Fahrmanöver in der Innenstadt und auf den Autobahnen möglich sind. Viele umgehen die "multas" durch gewitzte Versicherungen, durch Radarfallen-Warner im Navegationssystem etc.. Aber ist das wirklich die Lösung?

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Kommentare (9) :

Kommentar von Politesse 10.11.2008

Kommentar von ND 11.11.2008

Kommentar von Stefan 11.11.2008

Kommentar von Carsten 11.11.2008

Kommentar von BK 11.11.2008

Kommentar von jorge 11.11.2008

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Kommentar von Alberto Ruiz de 26.11.2008

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