Was ist Fortschritt?

21.12.2010 - Stefanie Claudia Müller - scm communication 

In diesem Jahr haben sich I-phones, alle möglichen neuen Flachbildschirme und Computerspiele massiv in unser Leben gedrängt. Wir schauen jetzt Fernsehen in 3-D und können immer mehr per Knopfdruck machen. All das wird uns als enormer Fortschritt verkauft.

Vor 20 Jahren gab es noch keine emails, wenige Handys und das Internet wurde meist nur firmenintern genutzt. Inzwischen haben wir Mikrowellen, Hunderte von verschiedenen Küchenstäben, wir haben Sitzheizungen in den Autos und das Navigationssystem. Aber trotzdem jammern alle wie immer, meckern, sind genervt... Ist es Fortschritt, eine Mikrowelle zu besitzen?

Wir glauben, dass wir für unser ultimatives Glück unbedingt diese neue Version von jenem Betriebssystem brauchen und all diese immer wieder neu auftauchenden in bunten Farben leuchtenden Applikationen für unser Handy, den neuen Mac, das I-Pad. Wir können uns keine Handynummern mehr merken, weil scheinbar alles elektronisch und nicht mehr in unserem Kopf abgespeichert wird.

Von allem machen wir Fotos, schicken sie durch die Gegend und können uns doch nur noch an wenig erinnern. Namen können wir nicht mehr den richtigen Gesichtern zuordnen, der tägliche Informationsbrei von emails, SMS und MMS verklebt unser Hirn. Unsere Kinder chatten im Netz mit Unbekannten, unsere Partner erwischen wir auf “heißen” Erotik-Webcam-Seiten und selbst die Oma hat jetzt ein Profil auf Facebook und Tennis spielen mit der Wii findet sie auch gut.

Ich erinnere mich an eine Präsentation von Steve Ballmer in Madrid. Es ging hauptsächlich um eine neue Version einer Computer-Konsole (Xbox), die Microsoft im Herbst rausgebracht hat. Bei der Pressekonferenz kommen ihm Worte wie “Revolution” und “bahnbrechend” über die Lippen. Demnächst würden wir alles in einem Kasten bekommen: TV, Internet, Computer, Video und dieser "Kasten", am besten so groß wie eine Kinoleinwand, stünde dann im Wohnzimmer. Man müsse nur noch winken, um von einer Applikation zur anderen zu wechseln. Eine schöne Idylle: Die Familie versammelt vor dem Bildschirm, winkend und glücklich über soviel Technologie an einem Platz.

Man muss nur mal für einen Moment die Augen zumachen und seine Gedanken schweifen lassen. Wer erinnert sich noch an das Erdbeben in Haiti und Chile, an die Überschwemmung in Pakistan, an die Giftschlammwelle in Ungarn oder an die Millionen von Kinder, die täglich sterben, weil sie nichts zu essen haben oder von ihren Eltern im Stich gelassen werden. Alles gelöscht, verdrängt, ad acta gelegt in unserer schönen neuen Welt. Ist das Fortschritt?

Warum werden die Milliarden von Forschungsgeldern nicht in effiziente Mittel gegen Malaria, Hunger, Dürre investiert? Warum macht Microsoft Werbung mit neuen Computerspielen und nicht mit Ausbildungsprogrammen in Afrika? Warum ist Fortschritt für uns Technologie und nicht die gerechtere Verteilung von Ressourcen? Warum gewinnen an der Börse nur Spekulanten, aber nicht solche Unternehmen, die in den Schutz des Planeten investieren?

Facebook, Google, ebay und Amazon spielen uns eine heile Welt vor, wo alles per Knopfdruck abrufbar ist: Freunde, Infos, billige Produkte, Bücher. Aber es hat sich an den elementaren Dingen in unserem Leben nichts geändert. Wir wollen essen, wir wollen Liebe und wir wollen Stabilität, egal, wo wir wohnen, welche Hautfarbe wir haben. 

Ich hoffe, dass wir in 2011 wirkliche Fortschritte erleben werden, dazu würde für mich die Masseneinführung von emissionsfreien Autos gehören.. sicherlich nicht künstliche Personen, die demnächst in japanischen Museen Fragen von Besuchern beantworten sollen... oder Avater, die man dort angeblich bald heiraten kann..

Kommentare (3) :

Kommentar von Carsten 22.12.2010

Kommentar von Stefanie 22.12.2010

Kommentar von Carsten 23.12.2010

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