HINTERGRUND: Spanische EU-Präsidentschaft

20.12.2009 - Konrad-Adenauer-Stiftung/Madrid für Deutsche 

Angeschlagen durch die schwerste Wirtschaftskrise seit dem Beitritt zur Europäischen Union 1986 und ausgestattet mit der niedrigsten Zustimmung aller spanischen Regierungschefs seit 1994, geht José Luis Rodriguez Zapatero in die am 1. Januar 2010 beginnende EU-Präsidentschaft seines Landes.

Er erhofft sich von den sechs Monaten bis zur Übergabe an Belgien vor allem innenpolitisch einen Rückgewinn von Reputation und Respekt. Das Attribut „historisch“ ist ihm für seine EU-Amtszeit bereits sicher, auch wenn er selbst dazu nichts beitragen sollte. Es wird die erste „rotierende Präsidentschaft“ unter dem Lissabon-Vertrag sein.

Nach einem überdurchschnittlichen Wirtschaftswachstum von mehr als zehn Jahren, das viele Spanier zu dem nur schwer erschütterbaren Glauben gebracht hatte, sie hätten das Rezept für immer währenden Wohlstand gefunden, sind die Befindlichkeiten seit Beginn der Krise in der zweiten Hälfte 2008 deutlich verhangener. Wie auch in Großbritannien lüftet sich in Spanien allmählich der Schleier, der sich in den Zeiten des Booms über Risiken und Nebenwirkungen des beständigen Aufschwungs gelegt hatte.

Gesellschaftliche und soziale Diskrepanzen, die hohe Individualverschuldung und ein staatliches Haushaltsdefizit, das 2011 auf 74 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gestiegen sein wird, werden in ihren tiefgreifenden Wirkungen erstmals von breiten Schichten der Bevölkerung wahrgenommen. Die Arbeitslosigkeit liegt aktuell bei 19,3 Prozent und soll bis 2011 auf 20,5 Prozent steigen. Mit einem anhaltenden negativen Wachstum wird Spanien möglicherweise das letzte der 27 EU-Mitgliedsländer sein, das aus der Rezession herauskommt. Die gesunkene Inlandsnachfrage, rückläufige Investitionen, das kräftige Handelsbilanzdefizit, Einbußen bei der internationalen Wettbewerbsfähigkeit durch unflexible Tarifsysteme und die starke Abhängigkeit vom Bausektor und der Tourismusindustrie werden als Gründe dafür benannt. Erstmals für 2011 wird wieder ein moderates Wachstum von einem Prozent prognostiziert. Die Optimisten verweisen gleichwohl frohgemut auf das „Polster“, das sich Spanien in den Zeiten des Booms zugelegt habe. Davon könne das Land eine Weile zehren.

In dieser Lage verlangen die Spanier nach politischer Führung. Was ihnen dazu geboten wird, macht viele eher noch verdrossener. So verwundert es nicht, dass in den jüngsten Umfragen 72 Prozent erklären, sie hätten wenig oder kein Vertrauen in Zapatero und beachtliche 80 Prozent Gleiches über seinen bürgerlichen Herausforderer Rajoy, den Vorsitzenden der PP, sagen. Angesichts der schieren Verzweiflung über die Qualität des politischen Führungspersonals in der Hauptstadt verschärfen sich die Diskussionen über noch weitergehende Autonomierechte der 17 spanischen Regionen. Wem das Vertrauen in die Fähigkeit der politischen Elite abhanden kommt, das Land aus der Krise herauszuführen, der scheint in Spanien geneigt zu sein, sich verstärkt dem Kampf für zweisprachige Verkehrsschilder als Ausdruck der Distanzierung von der Zentralregierung zuzuwenden.

Dies alles hat sehr wohl auch mit der spanischen EU-Präsidentschaft zu tun. Für die meisten Spanier verbinden sich Wohlstand, Rechtstaatlichkeit und Demokratie mit ihrer Teilhabe in der Europäischen Union. 51 Prozent sehen in der EU die Institution, der sie am meisten trauen. Die Hoffnung, aus der gegenwärtigen Rezession herauszukommen, machen die Spanier ganz weitgehend an Europa fest. Wenn dort, so glaubt man, wieder „Dampf auf dem Kessel“ ist, springen auch in Spanien die Turbinen an.

Für Zapatero wird es innenpolitisch darauf ankommen, diese Hoffnung und das darauf gerichtete politische Handeln zu repräsentieren. Sein Stellenwert zu Hause hängt ganz entscheidend davon ab, dass er Person und Institution während der nächsten sechs Monate mit Gewicht versehen kann. Ansonsten wird er weiter politisch Schaden nehmen, und es wird bei Katalanen, Galiciern oder Basken wie andernorts in Belgien oder Großbritannien die Auffassung wachsen, dass der nationale Zusammenhalt angesichts der starken und unbestrittenen europäischen Klammer ohne Probleme weiter gelockert oder sogar ganz in Frage gestellt werden könne.

Wenn also politisches Prestige auf der Waagschale liegt, und vergleichbare innenpolitische Zwänge auch bei dem einen oder anderen aus den nachfolgenden Präsidentschaften der EU vermutet werden dürfen, wird „historisch“ weniger der Umstand sein, dass Spanien als erstes Land die Präsidentschaft unter dem Vertrag von Lissabon führt, sondern wie die darin verankerte neue Rollenverteilung in der Praxis wahrgenommen wird. Schwer vorstellbar ist, dass ausgerechnet das prominenteste Gesicht des Landes, das die rotierende Präsidentschaft innehat, also der/die Regierungschef/in, während dieser sechs Monate von der europäischen und internationalen Bühne verschwindet und sie ganz dem neuen EU-Präsidenten überlässt, während – mit Ausnahme des Außenministers – die jeweiligen Fachminister ihren Gremien vorsitzen und Absichten oder Ergebnisse der Öffentlichkeit vermitteln.

Die Spanier scheinen deshalb an ein Kollegium zu denken, das künftig die Entscheidungen des Rates vorbereitet und begleitet. Es soll aus dem EU-Präsidenten und dem Regierungschef der rotierenden Präsidentschaft bestehen, dazu dem Präsidenten der Kommission und gegebenenfalls dem Hohen Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik. Eine Koordinierungsrolle wird auch in der „Teambildung“ mit den beiden nachfolgenden Präsidentschaften, im Fall Spaniens also Belgien und Ungarn, gesehen. Mit beiden Ländern hat sich die spanische Regierung auf ein gemeinsames Papier verständigt, das die Schwerpunkte bis Mitte 2011 enthält. Es ist ambitioniert, weitreichend und enthält von der Umsetzung und Ausführung des Vertrages von Lissabon, über die Aufarbeitung der Wirtschafts- und Finanzkrise, die Post-Kopenhagen-Strategie zum Klimawandel, die EU-Erweiterung und die Europäischen Nachbarschaftspolitik bis hin zur Revision der Lissabon-Strategie und einer neuen Agenda zur Gleichstellung der Geschlechter und des Kampfes gegen Armut und soziale Ungleichheit nahezu alles, was auf einen vorweihnachtlichen Wunschzettel für ein starkes, einheitliches und integriertes Europa passen könnte.

Hinzu kommt die während der spanischen Präsidentschaft erwartete Präsentation der Ergebnisse der „Reflection Group“ unter Vorsitz des früheren spanischen Ministerpräsidenten Felipe González. Von ihr sollen weitere Impulse für die Zusammenarbeit in Europa erwartet werden.

Beim Instituto de Empresa in Madrid ist man skeptisch, dass konkrete Vorschläge bezüglich Innovation oder Immigration verabschiedet werden. "Spanien ist zu sehr mit seiner eigenen Krise beschäftigt und wird vor allem Initiativen lancieren, die dem Land helfen, schnell aus der schlechten wirtschaftlichen Lage zu kommen", sagt José de Areilza. Bisher habe sich Spanien unter José Luis Rodríguez Zapatero durch wenig Führung in Europa ausgezeichnet, es sei unwahrscheinlich, dass sich das in den nächsten sechs Monaten ändern würde. Auch in seiner zweiten Amtsperiode hält es der Premierminister nicht für notwendig, sich mit ausländischen Journalisten zu treffen oder Interviews zu geben.

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