Kapitalismus adé?
28.11.2008 - Stefanie Claudia Müller - scm communication
Man fragt sich wirklich manchmal, ob man nicht im falschen Film sitzt. Mit 20 Jahren hat man mir in den Uni-Hörsälen gepredigt, wie wichtig ein freier Markt ist, dass die Nachfrage den Preis bestimmt, wie schlecht staatliche Subventionen sind etc... Der Stärkere, der Intelligenteste, der Fitteste überlebt – Darwins Theorie auf die Wirtschaft übertragen – US-Kapitalismus als Heilmittel, so stand es in fast all meinen BWL-Büchern. Ebenso später bei meiner Ausbildung als Wirtschaftsjournalistin sagte man mir, die Aktienmärkte gewinnen immer, das Anlegen in Aktien sei immer rentabel etc...
Mit diesem Wissen im Hinterkopf schreibe ich seit Jahren über Wirtschaftsvorgänge, Unternehmensgeschichte, über Immobilienskandale und Wirtschaftspolitik, so absurde Vorgänge wie Endesa und Eon konnte ich noch nachvollziehen. Aber derzeit fehlen mir wirklich die Worte, um dieses Chaos der internationalen Finanz- und Unternehmenskrise noch zu beschreiben. Nicht so sehr, weil ich die Zusammenhänge nicht verstehe, sondern ich verstehe die Regierungen nicht mehr. Politiker wie Angela Merkel, Nicolas Sarkozy, Gordon Brown und soviele Amerikaner, die Erfinder des Kapitalmus, ändern plötzlich die Spielregeln, ohne zu sagen, auf welchem Weg wir uns nun genau befinden. Die Krise kommt doch nicht plötzlich. In Spanien konnten sich alle vorbereiten, in den USA auch und ebenfalls in Großbritannien. Und auch die deutsche Automobilindustrie wusste genau um die Überkapazitäten. Alle nutzen jetzt das schwarze Loch, um für nicht gemachte Hausaufgaben auch noch mit staatlichen Hilfen belohnt zu werden. Warum reagiert man in der Politik so kopflos und blind?
Auch die Unis und Business Schulen sind gelähmt. Ein Professer aus den USA sagte kürzlich in einem Vortrag: "Wir geben eigentlich keinen Unterricht mehr, sondern arbeiten nur noch an den aktuellen Fallbeispielen." Er fragt sich: Sollen sie die alten Bücher jetzt wegschmeißen, die alten Modelle zur Beschreibung von Aktienmärkten über Bord werfen und predigen: "Es überlebt nicht mehr derjenige, der am stärksten ist, sondern derjenige, der am schnellsten staatliche Hilfe in Anspruch nimmt." Wenn es um höhere Sozialversicherungsbeiträge und Steuern geht, dann verfluchen alle Unternehmen den Staat, jetzt scheint er die einzige Rettung.
Viele sagen jetzt: „Diese Krise ist so gefährlich, dass wir nicht anders können, als massiv einzugreifen.” Das ultra-liberale Holland verstaatlichte die ING-Bank, das hochverschuldete Deutschland gerät in Panik und schmeißt nur noch mit Geld um sich, was es nicht hat. Frankreichs Rechtsregierung praktiziert Protektionismus pur.
Ist das Problem dieser Krise, die noch lange nicht vorbei ist, nicht vielleicht, dass wir in Panik und mit den falschen Mitteln reagieren? Was wäre denn wirklich passiert ohne Milliarden-Hilfen, die wir letztendlich alle mit schlechter Wirtschaftsentwicklung in den kommenden Jahren bezahlen müssen, mit höheren Steuern und damit weniger Kaufkraft erst einmal "verdienen" müssen? Was haben wir bis jetzt mit Milliarden-Staatsausgaben erreicht? Die Börse geht weiter nach unten, eine Horror-Nachricht jagt die andere und die gravierenden Probleme der Dritten Welt gehen in diesem Chaos, was die entwickelte Welt verursacht hat, völlig unter.
Wo sind die Führer, die uns wirklich den Weg zeigen und nicht nur Massen beruhigen wollen? Es hat doch einen Grund, warum manche Banken pleite gehen und andere nicht? Ist es nicht notwendig, dass die schwachen Unternehmen sterben und neu anfangen? Ist es gut, auf Ruinen aufzubauen, die völlig falsch aufgestellte Automobilindustrie zu stützen, nur um kurzfristig Arbeitslosenzahlen zu frisieren, die Menschen vor der kurzfristigen Katastrophe zu bewahren? Warum wird das Geld für die Unternehmen nicht investiert in die unschuldigen Opfer dieser Krise und die schlechten Manager sollen schauen, wie sie den Karren aus dem Dreck ziehen. Aber nein, die meisten Bank-Manager bekommen ja auch noch Abfindungen, einen Bonus, eine hochdotierte Rente, obwohl sie das Unternehmen ruiniert haben. Natürlich gibt es auch unschuldige Opfer in dieser Krise, aber wenige. Denn selbst die Zulieferindustrie wusste, dass diese Krise kommen würde und hätte sich vorbereiten können.
Wieviel schlimmer hätte es denn kommen können, wenn wir den Banken nicht geholfen hätten? Natürlich ist der Ketteneffekt hart, aber 200 Milliarden Euro in etwas pumpen, wie es die EU vorhat, was nicht nachhaltig ist, ohne das Geld an eine stärkere Kontrolle und Auflagen zu binden, ist verrückt, die nächste schwere Krise erwartet uns schon bald, wenn wir so weitermachen wie bisher. In der Gesellschaftspolitik müssen wir anders agieren und die Schwachen schützen, aber nicht in der Wirtschaft. Hier muss der die Verantwortung tragen, der das Unternehmen führt. Es kann doch nicht einer immer mit dem Finger auf den anderen zeigen. Was lehren wir in dieser Krise unseren Kindern? Sie bekommen doch den Eindruck, dass man immer mit Fehlverhalten irgendwie davon kommt. Je höher man positioniert ist, desto einfacher scheint es.
Die Chinesen wissen, Krisen sind Chancen. Aber wir halten uns damit auf, Industrien zu unterstützen, die sich wie die Autonindustrie weigern, innovativer zu sein, viel zu große und schwere Fahrzeuge bauen. Solche fortschrittlichen Hersteller wie Toyota befinden sich doch nicht umsonst in einer besseren Situation als Daimler oder BMW. Sie bauen bereits seit Jahren die Autos, die wir brauchen: kleiner, billiger und energieeffizienter.
Ich glaube wirklich, dass der Kapitalismus, vor allem die soziale Marktwirtschaft in Deutschland (abgesehen von den Subventionen der Landwirtschaft), ein vernüftiges System ist. Wer halt nur Gewinne absahnt, sich in die eigene Tasche steckt, nicht flexibel und innovativ ist, verliert. Das hat auch nichts mit Kapitalismus zu tun, das ist reine Gier. Man muss sich nur die spanischen Banken und die Deutsche Bank angucken und man versteht, warum einige Schwierigkeiten haben und andere nicht. Banken wie Santander wissen wegen eines koherenten IT-Systems weltweit viel mehr über ihre Kunden als viele andere Wettbewerber, sie haben stetig Rücklagen gebildet und im richtigen Moment gekauft.
Das Problem bei dieser Krise ist, wenn einige, die USA vorne weg, mit staatlichen Hilfen anfangen, müssen alle nachziehen, weil sonst der Wettbewerb noch mehr verzerrt wird. Spanien wird jetzt auch den Automobilsektor schützen, weil die EU es macht. Aber wie kann man noch Respekt haben vor Politikern, die nicht fähig sind, die Realität zu akzeptieren, harte Zeiten zu konfrontieren, ohne zu versuchen, die Leute mit Geld, das sie nicht haben, zu beruhigen...??? Vor allen Dingen die USA, als wirtschaftliches Leitbild, haben jede Glaubwürdigkeit verloren.
Da muss ich den spanischen Premier Zapatero loben. Der Sozialist scheint die Lehre des Kapitalismus besser verinnerlicht zu haben, als seine konservativen Kollegen in Deutschland und Frankreich. Die Russen wollen beim spanischen Mineralölkonzern Repsol einsteigen und er sagt: „Es sind zwei private Unternehmen, wir können und sollten nichts machen.” Die konservative Opposition dagegen, normalerweise Lobbyisten des freien Marktes, kritisiert ihn dafür. Und in den USA hat man Angst vor einem russischen und arabischen Vormarsch in der Wirtschaft und versucht die Ökonomie zu schützen.
In einem kapitalistischen System gewinnt der Stärkere, der sich natürlich an die bestehenden demokratischen Gesetze halten muss. Wenn wir das nicht verstehen wollen und auch noch Ideologien - Angst vor der muslimischen Welt, Angst vor den Russen - mit Wirtschaft vermischen, dann kann der freie Markt nicht funktionieren. Denn viele der Hilfen erfolgen in Panik, die reichen Scheichs aus Dubai, die Chinesen und Russen könnten jetzt die Welt aufkaufen. Wenn wir unsere Wirtschaft auf diese Weise beschützen, dann sollten wir aber auch nicht mehr eine offene Gesellschaft und einen globalen Kapitalismus propagieren, auch nicht in den Unis.
Kommentar von Manuela 01.12.2008