FILMTIPP: Hafners Paradise

17.11.2007 - Clementine Kügler 

Der Österreicher Günter Schwaiger, der seit Jahren in Spanien lebt, hat einen Dokumentarfilm gedreht über den ehemaligen Waffen-SS-Offizier Paul Hafner, der seit Jahrzehnten in Madrid lebt und bereit war, sich von Schwaigers Kamera begleiten zu lassen. Wir sehen einen agilen 83-Jährigen, der sich gesund ernährt, Schach spielt, Sport treibt (der Körperkult spielt im Film eine große Rolle) und dann und wann Sätze mit leicht österreichischem Akzent von sich gibt, wie „Es hat doch niemanden gegeben, der so vernünftig war“. Gemeint ist Adolf Hitler.

Nach Fünf Viertelstunden (und vielen Monaten Drehzeit) haben wir einen alten Mann vor uns, der Probleme mit seinem Gebiss hat, der erstmals in seinem leben Schmerzen hat und Tabletten nimmt und mehrmals wiederholt, „das glaube ich nicht, das ist nicht wahr“. Gemeint sind die Erinnerungen, die der Dachau-Überlebende Hans Landauer aus dem KZ erzählt und die mit Fotos untermauert werden.

Was ist geschehen? Hafner ist ein alter Nazi, der keine Scheu hat, das vor der Kamera zuzugeben. Sein Weltverständnis ist von Verdrängung, auch Schlauheit und einem gewissen Humor gezeichnet, vor allem aber von Verdrängung. Fast naiv wirken seine Sentenzen, tragisch seine Erinnerungen an die Kindheit in einem österreichischen Dorf, ein verqueres Verhältnis zur Sexualität wird deutlich.

Er hatte SS-Offiziere ausgebildet, einen Apparat erfunden, um Joghurt herzustellen und 2000 deutsche 16-Rippen-Schweine in Spanien eingeführt, die länger und weniger fett sind als die normalen 14-Rippen-Schweine und sich zu Hafners Freude mit den spanischen vermischt haben, so dass wir heute in Spanien eigentlich viele deutsche Schweine haben.

An der Costa del Sol lebten und leben nicht Dutzende, sondern Hunderte ehemaliger Nazis, sagt er. Spanien ist ihr Paradies. Collado Seidel ist Historiker, der sich dort auskennt und den Filmemacher beraten hat. Die spanischen Rechtsextremen Fuerza Nueva in Madrid lassen sich filmen, Hafners Freunde Jugler und Honsik nicht. Der Holocaustleugner Honsik wird übrigens kurz nach der Premiere des Films in Locarno verhaftet und nach Österreich ausgeliefert.

Schwaiger fragt und beobachtet, er wollte nicht diskutieren, damit Hafner erzählt und den Nazi nicht anklagen. Offensichtlich aber ist Hafners Abwehrsystem – in jeder Hinsicht - zusammengebrochen. Er kommt ums Nachdenken nicht herum und wird wohl nicht darum herum kommen, sich einzugestehen, dass sein Leben eine Lüge ist. Der Nazi baut sich selbst ab – das abzuwarten ist eine große Stärke Schwaigers. Ob er ihn aber überhaupt in die Ecke hätte drängen können, bleibt anzuzweifeln: Hafner ist so in seiner Welt verfangen, dass er fast schon dement wirkt: er behauptet, aber er argumentiert nicht. Dass seine Freunde sich verleugnen lassen, übergeht er. Offensichtlich lässt er sich von Schwaiger zu mancher Lächerlichkeit oder Übertreibung verleiten. Schwaigers Rache?

Man spürt die Arbeit, die es den Regisseur gekostet haben muss, diesen Film zu drehen, diesen Mann auszuhalten, sich gegen ihn zu wehren, sich aber doch manchmal einfangen zu lassen und eines der wenigen und letzten Zeugnisse, die mit den Protagonisten dieses entsetzlichen Kapitels deutscher Geschichte noch gedreht werden können, zu liefern. Allein deshalb ist der Film sehenswert.

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