Flaschenkinder...

21.06.2011 - Stefanie Müller 

Für José ist jedes Wochenende wie Karneval. Zwar verkleiden der 16jährige Spanier und seine Freunde sich nicht, aber „hacer el botellón“, zu deutsch „die Riesenflasche machen,“ hat starke Ähnlichkeiten mit dem einmal im Jahr stattfindenden deutschen Frohsinn, der für einige Karnevalisten wie auch für José ab und zu in der Notfallstation des Krankenhauses endet. Manchmal weil der Mix aus Cola, Wein und Whisky ihm nicht gut bekommen ist, manchmal auch weil es Streit um ein Mädchen gab.

Dabei ist der Botellón kein reiner Jungen-Spass mehr. Immer mehr Mädchen landen ebenfalls im Krankenhaus wegen Alkoholvergiftung. So eine Freundin von Carlotta: "Wir wollten uns eigentlich im Vips treffen, um einen Geburtstag zu fieren, aber dann haben sich alle entschieden, lieber botellón zu machen und ein Mädchen hat zu tief in die Flasche geschaut", erzählt die 16jährige.

Wie José organisieren jedes Wochenende in Spanien mehr als eine halbe Millionen Jugendliche mit einem durchschnittlichen Budget von 12 Euro in der Tasche von Mitternacht bis in die Morgenstunden Strassen-Parties – ohne Musik, aber mit viel Alkohol und anderen Drogen. Die zahlreichen Bars und Clubs werden erst aufgesucht, wenn kein Eintritt mehr gezahlt werden muss und man so angeheitert ist, dass der Rest des Abends mit Wasser auszukommen ist. Nach einem Samstagabend der „botellónes,“ wie diese lockeren Zusammenkünfte genannt werden, sieht das Madrider Ausgehviertel Malasaña, Standort von José, aus, als wäre gerade der Rosenmontagszug vorbeigekommen: Überall Papier, leere Whisky- und Rum-Flaschen, Rotwein-Tüten, Cola-Dosen, Zigarettenschachteln, Plastikbecher und unendlich viele Tüten. Dazwischen liegen diejenigen, die es nicht mehr bis nach Hause geschafft haben, und auf der Strasse ausnüchtern.

In Madrid Seit geraumer Zeit ist dieser fragwürdige Spaß jedoch verstärkt in Misskredit geraten. Die Spanier haben genug von den herumlungernden und krachmachenden Flaschenkindern. In mehreren Gemeinden kam es zu Protestveranstaltungen, Belagerung der benachbarten Polizeistationen und einer Anzeigenwelle wegen Ruhestörung und Verschmutzung. Allein in Sevilla entstehen der Stadt durch die Botellónes pro Jahr Reinigungskosten von 1,2 Millionen Euro. Der konservative Ministerpräsident José María Aznar, der sich als der Saubermann der Nation verstand, hat die Saufgelage verboten. Aber wie bei so vielen Gesetzen in Spanien, hält sich keiner dran. Einfallsreicher ist die sozialistische Opposition. Der Generalsekretär der Arbeiterpartei PSOE José Luìs Rodríguez Zapatero kündigte an, dass seine Partei, komme sie 2004 an die Regierung, ein eigenes Ministerium für die Jugend einrichten werde. Das wäre auch für die Madrider Lokalpolitikerin Emilia María Mejías ein erster Schritt. Denn sie gibt offen zu, dass „uns das Problem aus den Händen geglitten ist.“

Auch die seit zwei Jahren verstärkten öffentlichen Investitionen in Sportplätze und Vereine sowie spezielle Wochenendaktionen, bei denen Schwimmbäder bis spät in die Nacht geöffnet und das Kino verbilligt wurde, haben bisher die Botellónes nicht von der Strasse vertreiben können. Zu bezweifeln ist auch, dass dies dauerhaft mit Gesetzen und Polizeikontrollen gelingt, die ebenfalls auf den Einzelhandel ausgeweitet werden soll. Denn diesem ist es zwar verboten, an Minderjährige jeglichen Form von Alkohol zu verkaufen. In der Praxis schert sich darum jedoch keiner.

Auch ein Grund, warum der Botellón zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem geworden ist, aber auch zu einem Protest-Kult. Trieben die Jugendlichen sich zunächst nur auf den Strassen rum, weil Flaschen kaufen billiger war, als sich in Bars oder Diskotheken anzuheitern, ist daraus inzwischen ein Massen-Event geworden, der sich mit „Kindergärten für Jugendliche“ wie der Universitäts-Professor und Autor Antonio Burgos die Regierungsaktivitäten beschreibt, nicht abschaffen lässt. Die Botellónes sind auch kein Phänomen der niedrigen sozialen Schichten, wie viele Politiker glauben machen wollen. Party machen auf der Strasse hat ebenfalls nichts mit Bildungsstand zu tun. Denn wie eine Untersuchung der Gemeinde von Granada ergeben hat, sind 65 Prozent Studenten.

Spanische Psychologen und Soziologen glauben deswegen, dass die ganze Gesellschaft gefordert ist. Da nach einer Studie des spanischen Arbeitsministerium Jugendliche das traute Heim erst mit 29 Jahren, so spät wie in keinem anderen europäischen Land verlassen, habe vor allem die Familie eine wichtige Vorbildsfunktion. Die Eltern, so die Psychologin Mejías, „gehen viel zu lax mit dem Konsum von Alkohol um.“ Auch die Schulen hätten versäumt, die Kinder frühzeitig über die Gefährlichkeit aufzuklären.

Kritisiert wird ebenfalls die wenig auf Selbständigkeit basierende Erziehung der Spanier. So dürfen selbst 25jährige in der Regel ihren Freund oder Freundin zum Übernachten nicht mit nach Hause nehmen. Weil die Wohnungen oft zu klein sind, werden auch selten Freunde eingeladen. Kein Wunder, dass sich das Freizeit- und Sexualleben vieler Teenies auf öffentliche Plätze und Parks verlagert hat. Burgos glaubt zudem, dass die Ausgeh-Riten der Spanier – auch der Erwachsenen - überdacht werden sollten. In keinem anderen Land wird so spät – meist um 12 Uhr – angefangen und jedes Wochenende erst am nächsten Morgen aufgehört zu feiern. Burgos: „Würden die Jugendlichen schon um acht Uhr anfangen zu feiern, wären sie vielleicht um 1 Uhr fertig und die Anwohner hätten ihre Ruhe.“

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