HINTERGRUND: Botellón lebt weiter - trotz Strafen

27.01.2008 - Stefanie Claudia Müller 

Für José ist jedes Wochenende wie Karneval. Zwar verkleiden der 16jährige Spanier und seine Freunde sich nicht, aber „hacer el botellón“, zu Deutsch „die Riesenflasche machen,“ hat starke Ähnlichkeiten mit dem einmal im Jahr stattfindenden deutschen Frohsinn, der für einige Karnevalisten wie auch für José ab und zu in der Notfallstation des Krankenhauses endet. Manchmal, weil der Mix aus Cola, Wein und Whisky ihm nicht gut bekommen ist, manchmal auch, weil es Streit um ein Mädchen gab.

Wie José organisierten bis vor ein paar Jahren noch jedes Wochenende in Spanien mehr als eine halbe Million Jugendliche mit einem durchschnittlichen Budget von zwölf Euro in der Tasche von Mitternacht bis in die Morgenstunden Straßen-Parties – ohne Musik, aber mit viel Alkohol und anderen Drogen. Zwar wurde das Volumen der botellónes gerade in Madrid durch die strenge Hand des konservativen Bürgermeisters Alberto Ruiz-Gallardón reduziert, aber verschwunden ist das spanische Phänomen damit noch nicht. Kein Wunder: Eine Inflation von 4,3 Prozent im letzten Quartal 2007 geht auch an den Jugendlichen nicht spurlos vorbei. Sie können sich das Ausgehen nicht mehr leisten.

Die zahlreichen Bars und Clubs werden deswegen erst aufgesucht, wenn kein Eintritt mehr gezahlt werden muss und man so angeheitert ist, dass der Rest des Abends mit Wasser auszukommen ist. Nach einem Samstagabend sieht das Madrider Ausgehviertel Malasaña, Standort von José, aus, als wäre gerade der Rosenmontagszug vorbeigekommen: überall Papier, leere Whisky- und Rum-Flaschen, Rotwein-Tüten, Cola-Dosen, Zigarettenschachteln, Plastikbecher und unendlich viele Tüten. Dazwischen liegen diejenigen, die es nicht mehr bis nach Hause geschafft haben und auf der Strasse ausnüchtern.

Gerade in Malasaña wird jetzt streng kontrolliert. Die Anwohner haben genug von den herumlungernden und krachmachenden Flaschenkindern. Vor ein paar Jahren kam es nicht nur hier, sondern in mehreren Madrider Gemeinden zu Protestveranstaltungen, Belagerung der benachbarten Polizeistationen und einer Anzeigenwelle wegen Ruhestörung und Verschmutzung. Allein in Sevilla entstanden der Stadt bisher durch die Botellónes pro Jahr Reinigungskosten von 1,2 Millionen Euro.

Der Botellón ist zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem geworden, aber auch zu einem Kult. Trieben die Jugendlichen sich zunächst nur auf den Straßen rum, weil das Flaschenkaufen billiger war, als sich in Bars oder Diskotheken anzuheitern, ist daraus inzwischen ein Massen-Event geworden. Es ist kein Phänomen der niedrigen sozialen Schichten, wie viele Politiker glauben machen wollen. Party machen auf der Straße hat ebenfalls nichts mit Bildungsstand zu tun. Denn wie eine Untersuchung der Gemeinde von Granada ergeben hat, sind 65 Prozent Studenten.

Spanische Psychologen und Soziologen glauben deswegen, dass die ganze Gesellschaft gefordert ist. Da nach einer Studie des spanischen Arbeitsministeriums Jugendliche das traute Heim erst mit 29 Jahren, so spät wie in keinem anderen europäischen Land verlassen, habe vor allem die Familie eine wichtige Vorbildfunktion. Die Eltern gingen viel zu lax mit dem Konsum von Alkohol um. Auch die Schulen hätten versäumt, die Kinder frühzeitig über die Gefährlichkeit aufzuklären.

Kritisiert wird ebenfalls die wenig auf Selbständigkeit basierende Erziehung der Spanier. So dürfen selbst 25-Jährige in der Regel ihren Freund oder Freundin zum Übernachten nicht mit nach Hause nehmen. Weil die Wohnungen oft zu klein sind, werden auch selten Freunde eingeladen. Kein Wunder, dass sich das Freizeit- und Sexualleben vieler Teenies auf öffentliche Plätze und Parks verlagert hat. Burgos glaubt zudem, dass die Ausgeh-Riten der Spanier – auch der Erwachsenen - überdacht werden sollten. In keinem anderen Land wird so spät – meist um 24 Uhr – angefangen und jedes Wochenende erst am nächsten Morgen aufgehört zu feiern. Würden die Jugendlichen schon um acht Uhr anfangen zu feiern, wären sie vielleicht um 1 Uhr fertig und die Anwohner hätten ihre Ruhe.

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