HINTERGRUND: Denkmäler des Defizits

05.07.2010 - Alexander Roßbach 

Viele Bauvorhaben hat Madrid umgesetzt, die jetzt Postkartenmotive sind. Die schrägen Doppeltürme am „Plaza de Castilla“, die imposanten Wolkenkratzer "Cuatro Torres" (Vier Türme), auch das architektonisch premierte T4-Terminal des Madrider Flughafens Barajas ist ein Motiv. Es sind Gebäude, die kosmopolitischen Charakter ausstrahlen und gleichzeitig den Hunger der Hauptstadt nach Größe und Dynamik zeigen.

Diese Zeugnisse des Wirtschaftswachstums, der Wohlstand und Arbeitsplätze bescherte, haben Madrids Profil als Handels- und Finanzplatz gefestigt. Durch den Flughafen Barajas, Drehpunkt für den Flugverkehr von und nach Südamerika, strömen täglich Tausende von Touristen und Geschäftsleuten. Die Stadt profitiert von den Reisenden, die nicht selten auch länger in der spanischen Hauptstadt verweilen. Die vier Wolkenkratzer „Cuatro Torres“ (vom T4-Terminal auch zu sehen) sind die höchsten Gebäude im ganzen Land, sie sind Zeichen von Prestige und Prunk sowie von wirtschaftlicher Stärke. Im Plan sollte es immer so weitergehen. Neue Hochhäuser, mehr Luxushotels, mehr Einkaufsmöglichkeiten.

Doch nach dem prosperierenden, vergangenen Jahrzehnt gibt es nun Probleme. Banken kämpfen mit Werteverlusten, der Staat muss sich immer stärker verschulden und sparen, statistisch ist knapp jeder fünfte Spanier arbeitslos und unter den 18- bis 25-Jährigen fast jeder zweite. Die globale Finanz- und Bankenkrise seit 2008, durch eine europäische Staatenkrise 2010 verschärft, hat in Madrid Spuren hinterlassen, die sich nun im Stadtbild zeigen. Passanten, ob Einheimische oder Gäste, sehen, wie in Auftrag gegebene Bauprojekte brachliegen und vorerst nicht fertiggestellt werden können. Neben den Symbolen des wirtschaftlichen Aufstieges kommen nun Denkmäler der Defizits hinzu.

An der Verkehrsvene "Paseo de la Castellana" bei Straßennummer 200 ragen vier Kräne still über die Dächer. Hier, zwischen dem Bernabeu-Stadion und dem Plaza de Castilla, sollte 2010 ein Megaprojekt eröffnet werden. Ein 350-Millionen-Euro-Komplex mit Supermarkt, 5-Sterne-Hotel, exklusiven Büroräumen und prominentem Parkhaus für die überlastete Innenstadt. So Rafael Santamarías Plan 2006, der ihm viel Applaus von Madrids Stadtvätern einbrachte. Vier Jahre später hat Santamaría anderes im Kopf als die verhallte Euphorie. Auch nicht die vier vegetierenden, täglich tausende Euro kostenden Riesenkräne sowie die brachliegende Megabaustelle samt einer Menge ungenutzter Baumaterialien. Die Summe, die den Firmenpräsidenten von Reyal Urbis (RU) nun beschäftigt, sprengt alle Register: 4,6 Milliarden Euro. Soviel wollen seine Gläubiger, zehn Banken an der Zahl, zurückhaben.

Dabei war 2008 alles gut durchgerechnet. Das Fundament von der "Castellana 200" war fertig, die Kräne transportierten täglich Baumaterialien. Acht Etagen wurden in wenigen Monaten hochgezogen, nur zwei fehlten noch. Dann bekommt der Bauherr Schwierigkeiten: Verluste im Firmenvermögen, ausgelöst durch den Wertverfall und die Zahlungsunfähigkeit vieler Mieter von RU-Immobilien, welche das Unternehmen in 40 Städten der Iberischen Halbinsel und in Miami in den USA unterhalten. Die Bankenkrise, entstanden aus Bonitätsausfällen ihrer Klienten, schwappt Ende 2008 in immer heftigeren Wellen nach Europa. Die Kräne an der Castellana 200 mussten still stehen. Reyal Urbis war unfähig, den Bau fortzusetzen.

Aber nicht nur die private, auch die öffentliche Hand stapelt immer mehr Schulden. Das mit hauchdünner Mehrheit im Parlament angenommene Spardekret von Ministerpräsident Zapatero versucht das Haushaltsdefizit Spaniens zu verringern. Dafür werden, neben weiteren Maßnahmen, die staatlichen Investitionen in Infrastrukturmaßnahmen um sechs bis acht Milliarden Euro für das laufende Jahr gekürzt. Das könnte den Nordbahnhof "Chamartín", nahe dem Geschäftsviertel der „Vier Türme“, betreffen. Der naheliegende Parkplatz ist seit mehreren Jahren eine teilweise Baustelle. Denn die südliche Unterführung zur nächsten Verkehrvene der vier Wolkenkratzer ist nicht fertig gestellt, lediglich über Nebenstraßen ist die spärlich ausgeschilderte Zufahrt zum Bahnhof und dessen Parkplatz möglich. Provisorische Absperrzäune, erosive Baumaterialien, Unkraut und Müll zieren das Bild (siehe Foto des Autors). Seit 2007 herrscht am Chamartín dieser unfertige Zustand, berichten Anwohner. Dieser Schutz bewegt vereinzelte, obdachlose Menschen nun dazu, ihr Lager bei der nachts unbeleuchteten Baustelle aufzuschlagen.

Zurück ins private Baugewerbe: An der Castellana 200 werden von Santamarías Firma nur noch einige Sicherheitskräfte beschäftigt, die Wache halten. Das Prestigeprojekt wird Reyal Urbis nun fast lästig am Bein ist. Die Baustelle kostet täglich Geld, auch wenn sie ruht. Die bisher investierte Summe aber einfach vergessen und verkaufen will das transnationale Unternehmen auch nicht – nicht an so exklusiver Stelle an einer der wichtigsten Straßen der Stadt. Ob die "Castellana 200" bis Ende dieses oder des nächsten oder des übernächsten Jahres fertig wird, geht einher mit der Frage: Wie schnell treibt Reyal Urbis 4,6 Milliarden Euro auf? Unterdes unbeantwortet, wird an der Investitionsruine weiter mit133 Hotelzimmern sowie 10 Deluxe-Suiten an der Balustrade geworben. Auch wenn die Rückzahlung der rund viereinhalb Milliarden Euro Außenstände von Reyal Urbis auf 2015 vertagt ist, lediglich 400 Millionen Euro konnte die Firma an die Banken bisher zurückgegeben durch Überschreibung von Immobilien. Eine Tilgung aller Schulden und die Konsolidierung von Reyal Urbis ist noch nicht in Sicht. Nachbarn der Castellana 200 warten auf den Tag, an dem sich die Kräne wieder bewegen.

Die Baubranche hat sich verspekuliert. Vor kurzem veröffentlichte das „Ministerio de Vivienda“ („Ministerium des Wohnungswesens“) aktuelle Zahlen zur dramatischen, privatwirtschaftlichen Wohnsituation in Spanien: Demnach sind landesweit 688.044 „Casas“ ohne Besitzer und von weiteren 529.175 sich im Bau befindenden Wohnstätten sind 58 Prozent ohne späteren Käufer oder Pächter. Macht gegenwärtig rund einen Million leere Häuser. Das betrifft neben den großen Städten besonders Andalusien und Katalonien. Hier hatten Baufirmen, vor der Finanzkrise, auf zahlungsbereite Interessenten aus dem europäischen Ausland gehofft, die im sonnigen Süden nach einem ruhigen Zweitwohnsitz suchen. Diese Erwartung erfüllte sich nicht, die Immobilien stehen leer.

So werden unfertige Vorhaben – ob vom öffentlichen oder privat verschuldeten Investor – zum Teil eines neuen Hauptstadt- und Staatsbildes. Unfreiwillig entstehen in Spanien, aber auch in anderen, ehemals stark auf den Bausektor ausgerichteten Ländern wie Portugal oder Polen, neue Denkmäler. Spanien erhält Monumente seiner schweren Krisendekade – und seiner aufgeblähten Baubranche, die jetzt auf ihrem Beton sitzen bleibt. Die geplatzten Immobilienträume zeigen, wie sich Firmen mit vielen Projekten übernommen haben. Die siechenden, öffentlichen, scheinbar niemals fertigen Verkehrsbaustellen demonstrieren das Defizit des Staates, der nicht genügend Mittel hat sie abzuschließen. Der Aufschwungs-Euphorie aus fatalen Kreditfreifahrtsscheinen, die das Bauen-auf-Pump der Hausherren erst möglich machte, ist eine Architektur des Unvollendeten gewichen. Das Scheitern ist keinesfalls Programm, allerdings ist die Ungewissheit, wie es weiter geht, die – historisch nicht fremde aber doch neue – Zwangsmode der heutigen Zeit. Also Zeitgeist; er bietet seinerseits auch Postkartenmotive, auf die später, erleichtert oder ernüchtert, ebenfalls zurückgeschaut werden wird.

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