HINTERGRUND: “Dann bin ich weg.”

27.05.2011 - Stefanie Claudia Müller 

Die Spanier versuchen mit allen Mitteln der hohen Arbeitslosigkeit in der Heimat zu entkommen, eins davon ist: Deutsch lernen.

Soviel Aufmerksamkeit hatte das deutschsprachige Ausland schon lange nicht mehr in den spanischen Medien. überall wird seit Monaten von dem Fachkräfte-Mangel in Deutschland berichtet, 117 000 sollen fehlen. In der Schweiz liegt die Arbeitslosigkeit bei um die zwei Prozent, in Österreich sind es unter sieben. In Spanien haben dagegen 23 Prozent der aktiven Bevölkerung keinen Job. Als der deutschen Kanzlerin Angela Merkel vor ihrer Reise zum bilateralen Treffen in Madrid in den Mund gelegt wird, dass sie Spanier ohne Job einlädt, ihr Fachwissen für den deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen, steht das Telefon bei der Deutschen Botschaft nicht mehr still. Hunderte von Anrufe von interessierten Spaniern gingen an den Folgentagen Anfang Februar dort ein. Und auch das Madrider Goethe Institut profitierte von Deutschlands neuer Beliebtheit: Die Einschreibungen zu den Deutsch-Sprachkursen wuchsen in den ersten Monaten diesen Jahres um fast 24 Prozent. Und auch die Nachfrage nach Krankenversicherung für den deutschsprachigen Markt: “Wir sehen deutlich mehr Interesse in Spanien”, sagt Matthias Henschel von der deutschen Versicherungsgesellschaft DKV Globality.

Diese Reaktion verwundert nicht. Spanien leidet unter der zerplatzten Immobilienblase. Tausende spanische Firmen gehen pleite. Derweil wird bei den spanischen Privathaushalten das Geld immer knapper, das Leben aber nicht billiger. Deswegen müssen die Jugendlichen, auch wenn die meisten bis 30 Jahre bei Mama wohnen, jetzt agil werden, immerhin haben 40 Prozent der spanischen Jugendlichen derzeit keinen Job. Das ist doppelt soviel als der europäische Durchschnitt. Bisher ware es so, dass die meisten Spanier rund 30 Kilometer von ihrem Geburtsort starben, jetzt müssen sie mobil werden und das traute Heim verlassen, um finanziell zu überleben. Die deutsche Europaparlaments-Abgeordnete Elisabeth Schroedter fordert sie auf, nach Deutschland zu kommen: "Wir brauchen 36 000 Ingenieure, wenn wir die nicht bald finden, dann wird es teuer für die Wirtschaft. Die Kosten gehen jährlich in die Milliardenhöhe."

Auch die Schweiz braucht Frachkräfte, deswegen überlegt der 20jährige José Parra nach dem Studium gleich dort zu bleiben. Er studiert derzeit an der Universität von Zürich (UZH). Während er schon Jobangebote bekommt und fast jedes Wochenende studieren muss, verbringen seine Altersgenossen in Madrid die Wochenenden vor allem mit Botellones, Massen-Saufgelagen. Seine 17jährige Schwester Carmen wird in diesem Sommer zum Maschinenbau-Studium an die Eidgenössische Technischen Hochschule (ETH) nach Zürich kommen. “Ich unterstütze meine Kinder darin, in die Schweiz zu gehen, weil sie dort einfach mehr Chancen haben als in Spanien”, sagt Vater José Parra. Au?erdem seien beide Unis öffentlich, das hei?t im Vergleich zu Spanien fast gratis: “Hier mü?te ich sie auf eine private Uni schicken, um eine einigerma?en gute Ausbildung zu garantieren. Bei drei Kindern ist das nicht zu finanzieren”, sagt Parra, der selber ein Architekturbüro in Madrid leitet.

Die Aussichten in Spanien sind wirklich nicht gut: Die Arbeitslosigkeit der spanischen Uni-Abgänger hat sich zwischen 2007, dem Beginn der spanischen Wirtschaftskrise, und 2010 mehr als verdoppelt. Sie ist mit 10 Prozent sehr viel höher als das europäische Mittel. Und selbst, wer einen Job findet, verdient in Spanien sehr viel weniger wie die unten aufgeführte OECD-Studie beweist. Nur knapp 30 Prozent der zwischen 25- und 35jährigen Uni-Abgänger verdient 5000 Euro brutto im Monat. In Deutschland sind es 55 Prozent und die Mieten sind in Städten wie Berlin wesentlich geringer als in Barcelona und Madrid. Ein Grund, warum die spanische Ingenieurin Patricia Serna nach dem Erasmus-Jahr in München geblieben ist: “Hier werde ich nicht nur wie eine Ingenieurin bezahlt, sondern arbeite auch weniger Stunden als in Spanien. Die Arbeitsbedingungen sind einfach besser und auch die Aufstiegschancen.”

Fast 45 Prozent der spanischen Akademiker arbeiten in diesem Altersabschnitt dagegen auf Hilfsarbeiter-Gehaltsniveau, in der Schweiz sind es gerade mal 22 Prozent. Sie arbeiten mit Praktikantenverträgen. Der 27jährige Javier Azcona hat genug davon und will deswegen jetzt Deutsch lernen. Der Madrider Industrieingenieur ist erst seit einigen Monaten fertig mit seinem Studium, derzeit hat er einen befristeten Vertrag als Consultant. Sein Arbeitstag ist lang, er verdient aber weniger als 1000 Euro in Monat. Ein Grund, warum er immer noch bei seinen Eltern wohnt: “Das ist alles nicht optimal.” Er hat vier Jahre in der Schule Deutsch gelernt, spricht aber nur Brocken. Jetzt trainiert er es mit seiner österreichischen Freundin in Madrid und hat sich zu einem Abendkurs angemeldet: “In Spanien sehe ich in den nächsten Jahren nicht viele Chancen, deswegen bereite ich mich besser schon jetzt vor”, sagt Azcona.
Dass in Deutschland Facharbeiter fehlen, hat auch Sergio Garcia Colino aufmerksam gemacht. Der 27jährige Elektroingenieur hat während seines Studiums bereits in Schweden gerarbeitet beim spanischen Windradhersteller Gamesa. Dort hat er 22 000 Euro netto verdient. Ein Gehalt, das in Spanien nicht denkbar gewesen wäre. Gerade hat er seine Diplomarbeit abgeben und träumt nun von einem mindestens genauso guten Job in der Heimat: “Wenn hier nichts geht, dann bin ich weg.”

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