INTERVIEW: Dr. Ulrich Eberhard, Facharzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren

04.10.2007 - Das Gespräch führte Clementine Kügler 

Sie bevorzugen die "integrative Medizin" als Zusammenwirken der einzelnen Fachgebiete. "Schulmedizin" und komplementäre Methoden wie Naturheilverfahren, Akupunktur, etc. ergänzen sich, je nach individuellem Fall. Zu ihren Patienten gehören so viele Deutsche wie Spanier. Gerade ihre spanischen Patienten interessieren sich für Naturheilverfahren bzw. die komplementäre Methode. Wie erklären Sie sich das? Weil diese Behandlungsmethoden auch hierzulande immer mehr Nachfrage finden und weil wir sie anbieten. Es gibt wenige gut ausgebildete Ärzte für Naturheilverfahren in Spanien. Die Ausbildung auf diesem Gebiet ist in Spanien sehr jung. Erst seit kurzem werden akademische Weiterbildungen an einigen Universitäten angeboten, Barcelona und Saragossa haben gute Abteilungen für Naturheilkunde, Sevilla und Barcelona zum Beispiel bieten auch Masterkurse in Akupunktur an. Die deutschen Naturheilärzte haben dagegen eine längere Tradition. Der Zentralverband der Ärzte für Naturheilverfahren ZÄN ist mit rund 8000 Mitgliedern der größte und älteste ärztliche Fachverband für Naturheilverfahren europaweit. Gibt es einen Unterschied zwischen deutschen und spanischen Patienten? Die Spanier gehen allgemein mit Medikamenten "großzügiger" um als die deutschen Patienten. Statt sich natürlicher zu verhalten, wird oft gegengesteuert mit Medikamenten. Wenn man zuviel isst, nimmt man ein verdauungsförderndes Mittel, wenn man schlecht schläft, ein Schlafmittel, ohne an den Ursachen etwas zu ändern. Der Verbrauch von Antibiotika pro Kopf ist größer als irgendwo anders auf der Welt. Dadurch wächst auch die Gefahr von resistenten Keimen durch die ungezielte Einnahme. Ändert sich das Bewusstsein? Man liest mehr darüber ? Zeitungen haben Beilagen, Diskussionen im Fernsehen, wie auch über Umweltthemen, aber bis eine breite Basis der Bevölkerung den bedenkenlosen Umgang mit Substanzen ändert, die als harmlos gelten und es nicht sind, braucht es seine Zeit. Das betrifft auch die Ärzte. Die spanischen Ärzte behandeln oft aggressiver, wirksamer, aber Nebenwirkungen eher in Kauf nehmend als deutsche Ärzte. Zum Beispiel wird die Antibiotikawirkung als harmlos angesehen, die schädigenden Auswirkungen auf die Darmflora etwa werden als hinnehmbar eingestuft. Nebenwirkungen werden in Kauf genommen, um Heilwirkungen zu erzielen, während bei deutschen Ärzten und insbesondere bei uns Naturheilärzten die hippokratische Maxime gilt: "Niemals Schaden zufügen"! Der Zugang zu Arzneimitteln und damit das missbräuchliche Selbsttherapieren ist einfacher in Spanien? Dass die Apotheken mehr auf Rezeptpflicht achten, ist seit anderthalb Jahren neu. Aber immer noch bekommt man recht viel ausgehändigt. Hinzukommt, dass Medikamente generell in Spanien immer noch sehr viel billiger sind als in Deutschland. In deutschen Apotheken gibt es sehr viel mehr hochwertige Heilpflanzenpräparate als in Spanien. Und solange die spanischen Ärzte diese Produkte nicht verordnen, werden die Apotheker sie nicht führen. Es gibt zwar manche Produkte hier in Herbolarien, aber die unterliegen nicht immer den strengen Qualitätsstandards, die ich mir als Arzt wünsche. Die Luftverschmutzung beunruhigt in Madrid: gibt es mehr Bronchitis bei Kindern in Spanien? Nein, nach meiner Erfahrung gibt es hierzulande nicht mehr Atemwegserkrankungen als in meiner deutschen Praxis. Das trockene Klima Madrids trägt allerdings dazu bei, dass Atemwegserkrankungen einen längeren Verlauf nehmen. Allergische Erkrankungen der Atemwege bei Kindern nehmen in städtischen Regionen in Deutschland genauso zu wie in Spanien. Die weitverbreitete mediterrane Küche wird von der Unesco als Weltkulturerbe eingestuft. Trotzdem nimmt die Zahl der übergewichtigen Menschen auch in Spanien zu. Dies hat viele Gründe: falsche Essgewohnheiten - oft schon im Kindesalter anerzogen - stehen natürlich im Vordergrund. Hier spielt auch ein verändertes Sozialverhalten eine nicht unwesentliche Rolle. Die Familienstruktur hat sich in Spanien viel mehr als in Deutschland in den letzten drei Jahrzehnten völlig gewandelt. Die Großfamilie ist der Kleinfamilie gewichen mit vielen Konsequenzen, nicht nur was die gemeinschaftlichen Mahlzeiten betrifft. Die "dieta mediterránea" mit viel Obst, frischem Gemüse, Salat, Fisch und reinem Olivenöl birgt zweifellos ein geringeres Risiko für Herz- und Kreislauferkrankungen. Schützen Sie sich vor der hohen Belastung der Lebensmittel durch Schadstoffe? Ich persönlich versuche, bei Obst und Gemüse Bioprodukte zu kaufen. Wenn wir hier beim Gemüsehändler einkaufen, waschen und schälen wir die Produkte. Auch bei Milchprodukten und Käse oder Brot kaufen wir - wenn möglich - Bioware. Auch ökologisch gebrautes Bier und Biowein probieren wir ab und zu. Wir essen sehr viel Obst und Gemüse, zweimal in der Woche Fisch, einmal Fleisch, dazu viel Reis, Kartoffeln oder Pasta. Gesunde Ernährung und regelmäßige sportliche Aktivität würde grundsätzlich vielen Menschen helfen ihre Gesundheit zu erhalten. Wird in Spanien zu viel geimpft? Generell glaube ich, dass in Spanien eine Art Angst umgeht vor Infektionskrankheiten und man meint, diese Gefahr mit Massenimpfungen bannen zu können. Ich bin kein Impfgegner sondern ziehe ein individuelles und differenziertes Impfen vor. Man darf bei der Durchimpfung ganzer Jahrgänge der Schulkinder die nicht zu vermeidenden Impfschädigungen nicht unter den Teppich kehren! Vor zehn Jahren gab es in Madrid eine regelrechte Panik an den Schulen, weil mehrere Kinder an Hirnhautentzündung erkrankt waren. Viele Eltern glauben, dass ihr Kind, wenn es nicht geimpft ist, gleich ein Todeskandidat ist. Das stimmt nicht. Meningitis ist behandelbar, wenn die Erkrankung rechtzeitig erkannt wird, das heißt wenn der Hausarzt richtig handelt. Und die Eltern müssen darüber aufgeklärt werden! Eine Impfung stellt immer eine Reizung des Immunsystems dar. Eine Überlastungen des Immunsystems kann ein Grund für häufiger auftretende allergische Reaktionen sein. Nach Grippeimpfungen kommen immer wieder Fälle vor, dass ausgerechnet im unmittelbaren Anschluss an die Impfung heftige, grippeähnliche Erkrankungen auftreten. Ein häufiger Erziehungsirrtum lautet: "Umweltverschmutzung löst Allergien aus bei Kindern." Was ist daran falsch? Das würde bedeuten, dass alles, was natürlich und nicht verschmutzt ist, keine Allergien auslöst. Umweltverschmutzung (Abgase, Chemikalien in der Nahrung) kann bestehende allergische Erkrankungen mitverstärken, aber auch der gesündeste Apfel kann Allergien auslösen. Ein Schlusswort? Ist es nicht erstaunlich?: Glaubt man der Statistik, ist die Lebenserwartung in Spanien höher als in Deutschland. www.ulrich-eberhard.com

Kommentare (0) :

Artikel kommentieren
Artikel-Archiv
  • 19.01.2024 [Kommentare: 0]

    Spanien führt weltweit mit Rekord-Organspenden: Ein Blick auf die neuen Gesundheitsdaten

    Das spanische Gesundheitsministerium hat zum neuen Jahr beeindruckende Zahlen zu Organspenden und Transplantationen veröffentlicht. Spanien erreichte im Jahr 2023 mit fast 6.000 Transplantationen nahezu unglaubliche Höchstwerte, die die Ministerin für Gesundheit, Mónica García, als "exzellente Leistung" der Gesundheitsfachkräfte lobte. .. Artikel weiterlesen

  • 06.09.2021 [Kommentare: 0]

    Die Auswirkungen der Coronapandemie auf Kinder und Jugendliche

    Im Dezember habe ich Ihnen von den Auswirkungen des Coronavirus bei Erwachsenen erzählt. Heute werde ich ganz speziell von den Kindern und Jugendlichen berichten, die ganz besonders an dieser Pandemie und ihren drastischen Einschränkungen leiden. Als Psychiaterin für Kinder- und Jugendliche, kann ich Ihnen aus erster Hand berichten, dass.. Artikel weiterlesen

  • 05.07.2021 [Kommentare: 0]

    Einreiseregelungen und Corona-Vorschriften in Spanien

    Hier haben wir einige hilfreiche Tipps und Links zu den Einreiseregeln und Covid-Vorschriften in Spanien zusammengestellt: Das neue Webportal TravelSpainInfo (https://travelsafe.spain.info/de/) des Fremdenverkehrsbüros Spanien gibt ausführliche Informationen über die jeweiligen aktuellen Einreisebestimmungen und Corona-Vorschriften in.. Artikel weiterlesen

  • 28.04.2021 [Kommentare: 0]

    Patientenverfügung in Spanien

    Unfall, Krankheit, Pflegefall, Sterben: Die meisten Menschen setzen sich ungern mit diesen Themen auseinander, v.a. wenn es keinen konkreten Anlass dazu gibt oder das Lebensende gefühlt noch eine Ewigkeit entfernt scheint. Doch per Patientenverfügung können vorab Regelungen für einen Ernstfall getroffen werden, also eine persönliche.. Artikel weiterlesen

  • 01.12.2020 [Kommentare: 0]

    COVID 19 und psychische Gesundheit

    Als im Dezember 2019 bekannt wird, dass sich eine mysteriöse Krankheit, die hauptsächlich Lunge und Atemwege befällt, in China ausbreitet, denkt man noch, dass es sich auf der anderen Seite der Welt befindet und beobachtet von Weitem das Geschehen. Schnell wird aus der Epidemie eine Pandemie, die ersten Fälle in Europa multiplizieren sic.. Artikel weiterlesen

  • 03.09.2020 [Kommentare: 0]

    Radar COVID, die Corona-Warn-App in Spanien

    „Radar COVID" soll Nutzer warnen, wenn sie direkten Kontakt zu einem Infizierten hatten.RadarCOVID, die Corona-Warn-App für Mobiltelefone, hatte Anfang August die Testphase auf La Gomera erfolgreich bestanden und steht seitdem den autonomen Regionen zur Verfügung. Es ist eine spanienweite Initiative, doch die technische Umsetzung der.. Artikel weiterlesen

  • 21.04.2020 [Kommentare: 0]

    Mund-Nasen-Schutz-Masken, selber basteln, selber nähen oder bequem bestellen

    Selbst basteln – ohne nähen. Aufgrund des teilweise großen Engpasses an Mundschutz-Masken, kann man zuhause sehr gut eine Maske aus einfachen Haushaltsmaterialien selbst basteln, ohne nähen zu müssen und preiswert ist sie dazu auch. Dafür braucht man: 2 Lagen Küchenrollen-Papier, Taschentuch (Einweg, nicht aus Stoff), 4 Gummibänder.. Artikel weiterlesen

  • 27.08.2018 [Kommentare: 0]

    Emotionen verstehen: Was sagen Ihnen Ihre Emotionen?

    Einer der Reichtümer des Menschen ist die Fähigkeit eine grosse Anzahl von Emotionen zu erfahren. Die verschiedenen Emotionen Wut, Angst, Trauer, Freude, Eifersucht usw. spielen im Menschen eine sehr wichtige Rolle, sie sind anpassungsfähig und für das Überleben der Menschen notwendig. Darüber hinaus spielt jede Emotion eine besondere.. Artikel weiterlesen

  • 04.08.2017 [Kommentare: 0]

    Siesta & Go: Spaniens erste „Nap-Bar” in Madrid eröffnet

    In der Mittagspause an einem ruhigen und bequemen Ort ein Nickerchen machen – dies ist ab jetzt für diejenigen möglich, die im Madrider Büroviertel AZCA arbeiten. Siesta & Go ist die erste Schlaf-Bar, die in Spanien ihre Türen öffnet. Die Geschäftsidee, die im Englischen als „nap bar” bezeichnet wird, stammt allerdings nicht von den.. Artikel weiterlesen

  • 08.09.2016 [Kommentare: 0]

    Krim-Kongo-Fieber in Europa: erster Todesfall in Madrid

    Erschrocken reagierte Spanien Ende August auf die Nachricht, dass in Madrid ein 62-jähriger Mann an einem hämorrhagischen Fieber, dem sogenannten Krim-Kongo-Fieber, gestorben ist. Zuvor hatte er noch eine Krankenschwester im Krankenhaus “Infanta Leonor” angesteckt, in dem er behandelt wurde. Sie befindet sich auf der Isolierstation. Ihr.. Artikel weiterlesen