NEWS: Jürgen Teller in Madrid

21.06.2010 - Alexander Roßbach 

Wenn Modefotografie bei der PHotoEspaña (PHE) gezeigt wird, dann hat das immer mit viel nackter Haut zu tun. Mit dem Fotografen Jürgen Teller, der dieses Ressort 2010 repräsentiert, hat die PHE wieder eine von mehreren hochkarätigen Hauptausstellungen geschaffen. Der gebürtige Münchner Teller stellt neben einzigartigen Momentaufnahmen der Modewelt – von Yves Saint Laurent über Kurt Cobain bis hin zu Kate Moss und Victoria Beckham – besonders eines zur Schau: polarisierende Selbstbildnisse.

Nicht zweimal, nicht dreimal, sondern ganze achtmal schildern die Fotografien Jürgen Tellers im Sala Alcalá, wie er seine Kamera in Richtung seines Genitalbereiches hielt und abdrückte. Was als Mixtur aus kommerziellen, familiären und biographischen Arbeiten eines Künstlers, als Retrospektive eines weiteren bedeutenden Modefotografen, geplant war, entwickelt sich so auch zu einer aufschlussreichen, spannenden Charakterstudie.

Neben der Grenze zum Pornografischen, die er gerne überschreitet, demonstriert der in London lebende Teller jedoch auch sein Talent, eine scheinheilige Modewelt zu entzaubern. Er erstellt oft unglamouröse Aufnahmen von sonst makellos im Gedächtnis gespeicherten Supermodells. Modezaren wie Vivien Westwood oder Saint Laurent lichtet er teils kaltblütig unvorteilhaft ab, ein Quäntchen Verachtung des Fotografen bleibt dem Betrachter nicht vorenthalten. Sein Kurator und Londoner Nachbar Paul Wombells nennt es, den Blick auf die Fashion-Welt verändern. Doch mit dem extrovertierten Teller erhalten die Ingenieure der Textilindustrie und Modemagazine gerade das, nachdem sie immer wieder lechzen: Etwas Neues, Aufregendes, das es so vorher noch nicht gab. Es sind Hingucker für die schnellen Blicke, aber nachdenklich stimmende Momentaufnahmen für aufmerksame Augen.

Die PHE 2010 knüpft in der Disziplin Mode an Koryphäen aus den Vorjahren, wie Annie Leibovitz oder Helmut Newtons Ausstellung „Sex and Landscapes“, an. Auch mit Jürgen Teller, seinen polarisierenden Arbeiten und seinem Ego, erleben die Festival-Besucher einen ambivalenten Einblick in die Psyche eines Künstlers und Dienstleisters der Modeindustrie. Ähnlich wie Newton, verzichtet auch Teller nicht auf biographische Landschaften (seiner niederbayrischen Heimat), doch das Spiel mit Sexualität, die in den meisten seiner Werke überwiegt und sein fotografisches Tagesgeschäft zu sein scheint, sprengt gelegentlich die Rahmen.

Da hängt die prallbrüstige nackte Domina Lili Cole, die auf Stein posiert, neben einer Nahaufnahme des greisen englischen Malers Richard Hamilton in Oxford, der konservativ vor einem Baum mit reifen Äpfeln in die Linse blickt. Supermodells lässt Teller in Schlamm baden oder sie sich wie menschliche Wracks zurechtmachen, bevor er sie in Eggleston-Manier knipst, bevor sie interessant für ihn werden. Zwei nackte Frauen bebildert er im Louvre provokativ vor der Mona Lisa; ohne Schnickschnack mit einer billigen Kamera und etwas Blitzlicht, das von jedem hätte gemacht werden können – sie gehören zu den am prominentesten gedruckten Bildern. Oder aber Victoria Beckham, die sich als Konsumobjekt breitbeinig in einer Tasche fotografieren ließ, eine Werbekampagne von 2007.

Sich selber porträtiert er, manchmal auch mit Hose, grinsend neben seinem Mercedes SLK oder lachenden Gesichts verschmiert mit Beluga-Kaviar. Er, sich als protzig dekadenten Starfotografen zur Schau stellend, gegenüber den Anderen, den teils ausgenutzten Gestalten des Mode-Business.

Doch in einzelnen Fragmenten gibt auch Teller zu, verwundbar zu sein und sich als Marionette der Glamourwelt zu sehen. In seinen Bildern mit seinem kleinen Sohn zum Beispiel, die die ersten der Ausstellung markieren. Oder als feminin geschminkter, dickbäuchiger Raucher in einem chaotischen Hotelzimmer. Sexualität und Selbstfindung sind die stärksten Motive der Ausstellung. Beides scheint in seinem Berufs- und Privatleben mitnichten abgeschlossen, sondern durch seine Familie in eine neue Phase überzugehen.

Es ist aber auch die Dokumentation eines Hin- und Hergerissenen, eines Zweiflers, der nach Identität bei sich und anderen sucht, sich selbst in der Vergangenheit unverwundbar durch seinen materiellen Reichtum schützend porträtierte, jetzt durch seine Familie. Und – nicht zu vergessen – eines Fotografen, der bei Eröffnungsveranstaltungen lieber in einem Madrider Innenhof mit Kapuzenpullover steht und unerkannt qualmt, anstatt sich unter die wegen ihm gekommenen Gäste zu mischen.

Jürgen Teller, „Calves & Thighs“, zu sehen noch bis zum 22. August 2010, dienstags bis samstags von 11 bis 20.30 Uhr, sonntags 11 bis 14 Uhr, im Sala Alcalá (Calle Alcalá 31, 28014 Madrid).

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